Immer mehr Nicht-Finanzunternehmen bieten Finanzprodukte an. Welche Konsequenzen hat das für die traditionelle Finanzbranche?
Wie können digitale Strategien und Geschäftsmodelle im Finanzbereich erfolgreich sein?
Michael Mahlknecht: Wie bei anderen Strategien auch, so ist im Bereich der Finanzdigitalisierung die Umsetzung von entscheidender Bedeutung. Dazu ist es wichtig, Digitalisierung nicht nur als reines IT-Thema zu sehen. Oft wird zum Beispiel übersehen, dass Service weiterhin eine hohe Bedeutung hat, selbst wenn es zu keinem persönlichen Kontakt mehr kommt.
Wichtig ist auch, die Zielgruppe genau zu verstehen, auf die ein konkretes Angebot abzielt. So sind Digital Natives eine bestimmte User Experience schlichtweg gewöhnt. Sehr junge Menschen verwenden Sprache anders – so wie sich die Sprache ja auch in der Vergangenheit von Generation zu Generation gewandelt hat. Es braucht nicht nur Funktionalitäten, sondern eine bestimmte Kultur. Diese ist auch für die Mitarbeiterperspektive wichtig, etwa damit traditionelle Unternehmen auch für junge Entwickler und Innovatoren interessant werden.
Es fällt auf, dass immer mehr Nicht-Finanzunternehmen, die digital arbeiten, auch Produkte anbieten, die man bisher eher im Banken- und Versicherungsbereich verortet hätte. Welche Konsequenzen hat das für die traditionelle Finanzbranche?
Michael Mahlknecht: Es gab immer schon Unternehmen aus unterschiedlichen Branchen, die z.B. Banken gegründet haben. In letzter Zeit sind die Branchengrenzen aber immer durchlässiger geworden. Dies liegt nicht nur an der Digitalisierung, sondern auch an modernen Banking-as-a-Service-Angeboten und regulatorischen Veränderungen, die den Zugang erleichtern. Ein Beispiel dafür ist die Richtlinie PSD 2 in der EU.
Aus Sicht der Banken und Versicherungen kann diese Entwicklung zahlreiche neue Möglichkeiten eröffnen, wenn sie richtig verstanden wird. Wir sehen ja besonders in Asien, aber auch in Russland und vereinzelt in Westeuropa, dass scheinbar getrennten Bereiche zusammenwachsen, indem etwa Banken gezielt “Non-Banking” betreiben oder umgekehrt. Dasselbe gilt für Versicherungen, etwa mit Blick auf den Gesundheits- und Wellness-Bereich.
Wie kann man diese neuen Entwicklungen richtig verstehen und für sich nutzbar machen?
Michael Mahlknecht: Sowohl für Finanzdienstleistungen und für Fintechs oder Insurtechs, als auch für Unternehmen aus jeglichen anderen Branchen ist es entscheidend, den Kunden zu verstehen und vom Kunden aus zu denken. Das klingt banal, aber es scheitert doch so oft. Gerade weil man so viel Erfahrung mit der eigenen Branche hat, ist es oft leichter, in anderen Branchen gedanklich “in den Schuhen des Kunden zu gehen” als in der eigenen, in der man täglich tätig ist.
Und es fällt vielen Unternehmen schwer, in anderen Geschäftsmodellen als dem eigenen zu denken bzw. als jenen, die in der eigenen Branche gängig sind. Die neuen “Brancheneindringlinge” sind ja oft nicht technisch überlegen, sondern bauen einfach auf einer anderen Sichtweise und Kultur auf.
Wie lassen sich diese gedanklichen Grenzen aufweichen?
Michael Mahlknecht: Es kann sehr hilfreich sein, auf allen Ebenen – vom Verwaltungsrat abwärts – Mitarbeiter aus anderen Branchen einzubinden, z.B. mit Erfahrung in IT-Unternehmen, die anders denken als typische Versicherungen oder Banken, aber auch als Unternehmen in der Industrie. Die Autobranche ist dafür ein gutes Beispiel.
Strategisch lassen sich auch Methoden nutzen, die den Blick weiten. Zum Beispiel, indem man Geschäftsmodell-Typen über Branchen hinweg betrachtet und damit das eigene Denken hinterfragt. Und was das Aufweichen der Branchengrenzen angeht, so ist die Customer Value Chain ein exzellentes Konzept, um branchenübergreifend in den Schuhen des Kunden zu gehen und zugleich strategisch konkrete Analysen durchführen zu können. Wer sich damit auf die Reise des Kunden begibt, versteht oft schnell, dass bestimmte branchenmäßig getrennte Tätigkeiten für den Kunden online nahtlos zusammengehören. Dann braucht es nur mehr den Mut, den Erkenntnissen auch wirklich Taten folgen zu lassen, anstatt in der alten Branchenlogik zu verharren. Das ist oft das größte Problem.
zur Person
Michael Mahlknecht hat vielfältige Erfahrung mit Start-ups, Scale-ups und traditionellen Unternehmen, mit Strategie- und Digitalisierungs-Beratung und Business Development sowie mit der Vermittlung von Investoren. Aus seiner Sicht könnten diese Entwicklungen einerseits für Banken und Versicherungen, aber andererseits besonders auch für Unternehmen in anderen Branchen und Industrien zahlreiche neue Möglichkeiten eröffnen. Digitalisierung ist für ihn nicht nur als reines IT-Thema zu verstehen. Oft wird zum Beispiel die Bedeutung von Geschäftsmodellen übersehen oder die Tatsache, dass Service weiterhin eine hohe Bedeutung hat, selbst wenn es zu keinem persönlichen Kontakt mehr kommt.
Für mehr Informationen oder einen digitalen Austausch kontaktieren Sie den Autor oder unsere BoardFinder-Partner